Sonntag, 29. September 2024

NOVONIUM Krimi: Theresa und der Tod im Blütenkelch.

 

 "Theresa und der Tod im Blütenkelch". 

 

"Theresa Tschannen trat eines Tages vor das Fenster, es war Winter geworden und die Blätter stemmten sich unter dem hauchdünnen Schnee gegen das Laken der Entgültigkeit des Jahres, den weißen Vorhang , der über Nacht auf sie gefallen war und die Erlebnisse des Sommers im Garten mit der Unschuld der Vergebung des vergehendes Erdenkreises um die Sonne zu überdecken suchte. 

Am Fenster blühten die Blumen der Kälte, der Fensterrahmen hatte hier und dort leichte Stockflecken angesetzt, die sich auf dem weißen Hintergrund und den Schemen der Szenerie im Garten weit hinter dieser Malerei des Frostes an den Scheiben  abhoben wie ein Makel des Verderbens im Gemach der Verlassenheit im weißen Nichts. Der Nebel war ins Grau gefallen und sog sich an das Haus heran, wie eine Mutter die Decke über das Kind legt, so senkte sich die aufdringliche Feuchte auf den leisen Ort, - im Zwischenboden unter dem Erker kratzte eine Maus.

Theresa hatte im Sommer die letzte Klasse der Ballettschule in Zürich besucht und war nach einem Sturz vom Pferd bei ihrer Tante Elisabeth Tschannen, der "Tschannen Bethy" und einem aus dem Sturz gefolgten  zertrümmerten Bruch des rechten Beins, der dank der Kunst des Dr. Tschudi leidlich gut verheilte in das Haus ihrer Eltern zurück gekehrt. 

Im Ofen brannte das Feuer, die Dunkelheit zog heran und die Maus tat ihr Werk die sterile Stille in der Geschäftigkeit des Weltvergessenseins eines kleinen Tieres mit dem Rahmen des Sinns leiser Töne um das stumme Nichts herum zu verbrämen.

Denn nichts ist in der sinnlosen Stille stiller als das leiseste Geräusch, was die Stille nur noch chirurgischer definiert. 

Theresa stand am Fenster und blickte in den Garten hinaus: Der Seidenschal aus Eiskristallen hatte die Stelle überdeckt, den braun - rötlichen Fleck im Garten, der an der Stelle verlieben war, wo man den Vater von Theresa gefunden hatte. Das Messer, mit dem auf ihren Vater gute 30 Mal eingestochen worden war steckte als man ihn fand noch im Baum, an welchem jetzt noch fahl und verblichen ein Fetzen Absperrband der Kantonspolizei Zürich hing. 

Die Mutter soll es gewesen sein, man hatte sie, ausgezehrt und unterkühlt mit einer Vergiftung im Keller gefunden, sie hatte auf eine Flasche Obstwasser des Bauern Beat Wilisauer zwei Tabletten eines Opioids eingenommen, das Tschannen Bethy hatte sie gefunden, sie mußte schon zwei Tage komatös gelegen haben, der Anblick aus Kot und Erbrochenem war jenseits von Erbärmlichkeit. 

Ein Holzscheit knackte im Ofen vernehmlich aber leise. Für Theresa klang es wie das Bersten einer Türe in tausende Splitter von Holz, als wären sie tausend fliegende Dolche und sie fuhr herum. Ihr Blick fiel auf die Kunscht und zerfahren und hastig auf den Schrank daneben. 

Den Schrank hatte ihr Vater ihrer Mutter noch eine Woche zuvor bei der Brockenstube der Heilsarmee gekauft, als er von einem geschäftlichen Termin bei einer Firma für Auftragsfertigung diverser Art in Affoltern am Mittag etwas früher als sonst zurück nach Neerach fuhr. Ihre Mutter hatte aus Freude über das Mitbringsel am Abend noch geschwind Egli mit Kartoffeln und Sahnesauce gekocht, um sich an den Urlaub zu erinnern, den sie mit ihrem Mann, Ernst Tschannen einst in Tschechien verbracht hatte, einer Reise, die ihr von der besagten Firma in Affoltern bezahlt worden war, von welcher Ernst Tschannen gerade just an diesem Tage früher als sonst nach hause kam. 

Die Mutter der Theresa, Flora Tschannen, geborene Gerber hatte man zuerst ins Spital verbracht, wo man sie nach drei Wochen aus dem Koma zu holen vermocht hatte und danach ins Burghölzli, dem Theater der tieferen Wahrheit von Zürich, dem Nobelhotel der Irren und solcher, die das Grau der Stadt nicht länger ertrugen, den Dirnen und solchen die eine Ehe mit der Glasscheibe in der Schlagader eingehen wollten. 

Am Sihlquai hätte Therese am Tag als sie Ihre Mutter Flora zum ersten Mal im  Palast der Irren hatte besuchen dürfen, entschlossen, sich noch am selben Abend in der Limmat das Leben zu nehmen. Sie hatte ein durchschnittliches Kleid angelegt, jenes, welches sie sonst anzog, wenn sie dann und wann ihren Vater bei nachgeordneten Geschäftsempfängen begleiten durfte, es war nie zu auftragend und nie zu schlicht, sie trug wie immer bei solchen Anlässen auch jetzt die blauen Schuhe, die sich von einer Flugreise nach Spanien im Winter 1967 mitgebracht hatte. 

Das Kleid sollte im Wasser aufgehen wie der Kelch einer Blume, die Schuhe sollten die einzige Farbe sein, die man finden sollte und mit dem Gesicht wollte Theresa nur noch in die Tiefe eines Flusses sehen, der ihr bei der Trübung des Tages versprach nie wieder etws von dieser Welt sehen zu müssen, nicht die Leiche ihres Vaters und nicht das mit Sedativa zum Anschwellen gebrachte supra mortale Gesicht ihrer Mutter im forensischen Trakt der Psychiatrie. Flora Tschannen war eine hübsche Frau gewesen, fast ein Modell - Typ, nun sah sie aus, wie eine Kröte, der beim Überfahren durch ein Auto der Kopf übermäßig zur Schwellung gebracht worden war. 

Die Augen waren blutig unterlaufen und der Speichel floß Flora über die bleichen Lippen, der Raum war erfüllt von Gerüchen aus dem Erbrochenem der letzten Nacht, arrangiert mit dem Geruch von Desinfektion und den Abbauprodukten der Psychopharmaka, die man Flora unter Zwang eingeflößt hatte, nachdem sie sich mit Gewalt gewehrt hatte, sich eine Medikation verabreichen zu lassen. 


Das Motiv konnte oder wollte keiner nennen, es gab keines, keines, was man hätte näher und ferner greifen können. Die Eheleute Tschannen lebten in soliden Verhältnissen, sie waren authentische Menschen, die ohne das übliche aufgesetzte Getue der Stadtsitten auskamen, sie hatten keine Schulden, keine Feinde und auch sonst konnte die Polizei nichts finden, was einen Grund für die Tat hätte plaubibel werden lassen können. 

Theresa stand immer noch am Fenster und blickte mittlerweile auf eine nur noch in schwarzen und grauen Konstraststufen verwaschen erkennbare Landschaft aus purer, bedrohlich tiefer Dunkelheit, die sich hinter dem weißen Latz ausbreitete, der sich durch das wenige Licht, das aus dem Haus schien, vor ihm auf dem dünn gestreuten Schnee warf.  

Theresa hatte sich nicht in der Limmat umgebracht um noch einmal durch ihre Kindheit und Jugend zu treiben, hinweg in den ewigen Traum von der Not befreit noch atmen zu müssen, sie hatte sich vor die Straßenbahn geworfen, die zur Vereitelung des Ansinnens sich durch den Tod der Eindrücke des Halblebens zu entledigen, rechtzeitig zum Stehen gekommen war. 

Sie war doch aus eigenem Tun gefallen, oder ? Sie hatte sich doch selber vor die Bahn geworfen, an dieser Haltestelle, wo sie gedankenverloren und leer und abwesend am Bordstein entlang gegangen war, wie ihre Mutter einst  so leicht und weiblich über die Gassen zu schweben pflegte. 

Als die Kantonspolizei die Personalien aufnahm, lag neben der Bank, von der die grüne Farbe hier und dort begonnen hatte abzublättern eine Zigarette, die bei genauerer Untersuchung sich als noch warm herausgestellt hätte. Auch hätte die Kantonspolizei durchaus erkennen können und müssen, daß sich neben den Fußabdrücken von Theresa in den Resten des Graupels vom Niederschlag wenige Minuten zuvor noch weitere Fußabdrücke befunden hatten, die mit dem Abtauen der Graupelspäne rasch entschwanden. Und hätte der einfältige Polizist den Fahrer der Bahn gewissenhafter befragt, so hätte dieser durchaus zu Protokoll geben können, daß zum Zeitpunkt, da Theresa fast von den Rädern der 30 Tonnen schweren Verkehrsmaschine zerteilt worden wäre, ein Mann mit einem grauen Hut und einem weinroten Mantel an der tristen Häuserzeile entlang eilte und in einer kleinen, schmuddeligen Gasse verschwand. 

Die Polizei hatte davon abgesehen, nun auch noch Theresa im Burghölzli zu entsorgen, die Tatsache zweier minderjähriger Prostituierter, die noch zur Jugendbehörde zu bringen waren, und der Umstand eines ohnehin mit Einsätzen angefüllten Tages taten ein Übriges an Überzeugung bei den Polizisten, fürmal den unbürokratischen Weg zu wählen und Theresa an ihrer Meldeadresse abzuliefern.  Roboterhaft öffnete sie die Türe des Hauses, ließ den Mantel an der Garderobe fallen, schleppte sich ins Bad, wusch hastig und ohne jegliche Bedacht die Beine und Arme und ließ sich auf einen Designstuhl fallen, auf welchem sie als Kind immer herumgeturnt war. Bethy war kurz daraufhin gekommen, hatte aus der Migros noch Zutaten für eine warme Suppe mitgebracht, und das Feuer im Ofen entfacht, das Theresa nun seit einem Tag in den Pausen der depressiven Schübe mit dem Holz fütterte, welches Bethy aus dem Keller holte: Selbst hatte sich Theresa nicht in den Keller getraut zu gehen, zu plastisch und präsent waren ihr Bilder, wie man ihre Mutter dort unten gefunden hatte. Und obwohl Bethy nach den polizeilichen Maßnahmen der Spurensicherung gereinigt hatte, vermeinte Theresa immer noch die Gerüche wahrzunehmen, die ihre Mutter im Keller hinterlassen hatte, als sie dort in den eigenen Körperflüssigkeiten und Fäkalien gefunden worden war, dem Tode näher als jedem anderen Zustand von unterhalb der nackten Existenz. 

Wieso war ihre Mutter überhaupt im Keller gewesen, sie hätte sich doch weitaus logischer im Schlafzimmer umbringen können ? Wie war sie überhaupt in diesem Zustand die Treppe hinunter gekommen, ohne sich auf dieser gleich im Fall das Genick gebrochen zu haben? Und wer hatte die Türe zum Keller hin ins Schloß fallen lassen, da sie sich doch so öffnete, daß sie zum Keller hin aufging und nicht in die Diele schwenkte ? Theresa legte noch einen Scheit Holz nach und ging über die geschwungene Treppe in ihre Zimmer in den ersten Stock an den Bildern und einer Vase mit Blumen vorbei, die seit dem Tag, daß der Vater von Theresa umgebracht wurde vergessen waren und sich dem Verwelken übergeben hatten. 

Sie öffnete sachte ihre Zimmertüre, ließ die Kleider Stück für Stück vor den Schrank auf den Boden fallen, streifte die Socken ab, wobei sie fast das Gleichgewicht verlor und entband ihre Haare aus der Frisur. Theresa ging zum Fenster und zog die Vorhänge zu. Sie meinte sich zu täuschen, als sie sich mit dem Gedanken ins Bett fallen ließ, sie habe im grauen Schnee in der nun hoheitlichen Dunkelheit Fußspuren entdeckt, die noch nicht da waren, als das Licht des Hauses eine Stunde zuvor eine Schürze vor die Fenster geworfen hatte. 

Sie träumte diffuse Bilder ohne diese greifen zu können, sie träumte vom Sihlquai, von Dalben, die sie tief in den Zürichsee hinabführten, von grauen Schwaden schlammiger Wolken im Wasser, von einem Verließ unterhalb der Straße, von Kindertagen im Garten, gefolgt von schwarzen Gestalten, die sich um das Haus trieben. 

Als es Morgen wart, öffnete Theresa das Fenster, es war ca. 10 Uhr morgens, über Nacht war noch einmal eine Warmfront über das Züri - Biet gezogen und hatte nebst wenigem Graupel vor dem Ansteigen der Temperatur noch warmen Regen gebracht, der den Schnee zum Schmelzen zwang. Der Schnee, welcher am Abend zuvor wie eine Decke aus Zuckerstaub über dem Rasen gelegen hatte war überall der Wärme gewichen, nur an den Stellen, an denen der Schnee komprimiert wurde, war noch eine Eisschicht geblieben. 

Die Eisflecken auf dem Rasen waren vom ersten Obergeschoss aus gut zu sehen, ebenso der braune Fleck, wo der Vater von Therese in seinem Blut gelegen hatte, die Eisfetzen waren erkennbar eine Schrittbreite von einander entfernt und der Fetzen des Absperrbandes, welcher noch am Abend des gestrigen Tages am Baum gehangen hatte, war verschwunden. 

 







 




 



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