Dienstag, 26. Juli 2022

Der banale Antisemitismus: Der Spannungsdurchschlag nach dem zweiten Bier

 Gestern war ich in einem Lokal und gab kurdischen Kindern spontan Sprachunterricht und kümmerte mich um den stimmlosen palatalen Frikativ, den "Ich - Laut". 

Und da kam ich auf die labiale Spannung zu sprechen und die Vorbereitung des Lautes durch den vorhergehenden Buchstaben. 

Und da Kurden, wie Türken alles zu einem "sch" machen, mußte ich erst einmal die Backenspannung erklären, die in Kombination mit dem Anpressen der Zunge an die Unterkiefer - Vorderzähne zu dem fraglichen Laut führt. 

Und da kam ich zu dialektischen Kompromissen und Verflachungen und aufs Jiddisch. 

Bü-cher ist schwieriger zu formen als "Bii-cher", weil das "ü" die Lippen spitzt und man fürs "ch" dann in die aktive Öffnung muß, was nicht der Fall ist, wenn der Vokal "i" bereits die seitliche Backenspannung vorgibt. 

Das "i" ist im Jiddischen ein, ökonomisierender Vokal, der alles mögliche an backengespannten Konsonanten folgen lassen kann und jeden Diphthong erlässlich macht. Analog wird im Jiddischen aus jedem "ö" ein e. 

a-e-i

a-o-u

ü-i (dritte Vokalstufe, Transformation)

ö-e (zweite Vokalstufe, Transformation). 

Anlaß der ganzen Misere war das Wort "Psychologie": 

Ps... - Druck, Wandlung in den s-Laut

ych... - Psilon - Frikativ - Folge 

ologie (Kombination). 

Würde man Psyche.. logie sagen, wäre das "o" die zweiten Zwangsfolge auf dem Weg vom e zu seinem dunklen Stufengeschwister. 

Und ich schloss den Vortrag über das Jiddisch als Beispiel für die Tranformation von Vokalen mit dem Satz: 

"Und hätten die Deutschen nicht 6 Millionen Juden umgebracht und wir hier noch eine jiddisch - sprechende Gemeinde, dann könnte ich Euch (gemeint waren die Kinder) anhand des gesprochenen Jiddisch auch zeigen, was ich in der praktischen Anwendung dieser Vokalverschiebung in der Sprachökonomie mit meiner Ausführung meine". 


In dieser Sekunde, wo ich den Satz schloß ließ ein Gast einen aus meiner Sicht schizoiden Gebärdenschrei fahren, der an einen urtümlichen Ausbruch eines Primaten erinnerte und er verließ wie ein Gespenst das Lokal und jeder der diesen Stammgast kannte, wunderte sich. 

Und dieser Brüll, der war wirklich so ein Getöse, wie von einer Haubitze oder das Grollen einer nicht zu weit entfernt einschlagenden Bombe, das war schon mehr als die Lautstärke eines Betrunkenen. Der Tonschlag erinnerte an die Artefakte, die schwer - schizophrene Patienten von sich geben können. 

Ich habe ein paar Sekunden gebraucht bis ich begriff, welche Kopplung es hatte, daß ich mich aufrichtig um die Kinder von Migranten "kümmerte" indem ich sie anwies einfach gut und richtig zu sprechen und dem Bewußtsein, was ein Deutscher entwickelt, der in einem wirklich lieben Moment vor die Summe seiner abartigen Verlogenheit und Bosheit gestellt ist.

Die Kinder hörten zu und waren konzentriert. Offenbar sind sie deutschen Lehrern nicht so viel wert (sind Migrantenkinder auch nicht, sie werden nicht gebildet, sondern durchgepumpt). 

Die Niedertracht des Kleinhaltens wurde offenbar und der geschichtliche Zusammenhang und das schlechthin Böse dieser deutschen Kultur sammelte sich wohl in diesem Gast und schlug durch wie ein Kurzschluß durch einen Hochspannungstrafo. 

So einen gebärdigen Brüller habe ich noch nie gehört, es war sehr eindrücklich, wie sich im besoffenen Zustand ein tieferes Bewußtsein fast seinen Weg schafft und nur noch Gewalt jeden weiteren Zugang zu diesem versprengt. 


Man kann aus Migranten mehr machen als die Rolle, die man ihnen perfiderweise auf den Leib sozialisiert. Mit aufrichtigem Unterricht zu guter Sprache, die es Migranten ermöglicht in höhere gesellschaftliche Schichten zu steigen, schafft man einen Zugang zu einander und damit kommt man weg von Stereotypen. Sprachliche Hoheit als Mittel der Beherrschung ist widerlich und gehört in den Bereich von Kolonialismus. Das Reinhalten der deutschen Verwaltung durch das Erhalten von sprachlichen Hürden ist sekundärer Rassismus. Würden Migranten genau so gut sprechen wie Deutsche ohne das unsichtbare Ghetto der narrativen Parallelgesellschaft, müssten die Deutschen eine zweisprachig hochkarätige Konkurrenz fürchten und diese halten sich die Deutschen von der Pelle indem sie Migranten klein halten und in dieser Position dann für niedrige Arbeiten zurichten. 

Die Kinder haben einen Anspruch aus sich als Mensch heraus auf gute Sprache und einen umfassenden Zugang. 

Und hier schließt sich etwas an den historischen Antisemitismus an und ich komme noch einmal auf das Jiddische zu sprechen: 


Wenn man Menschen keine Rolle in der eigenen Gesellschaft geben will und jede tatsächliche Partizipation untergräbt, schafft man sich parallele Gefäße innerhalb der Gesellschaft. Und so wie das Jiddisch eine Identität wurde, - züchtete die Exklusion ein Merkmal: Die Sprache als Ghetto - Grenze in der unausdrücklich getrennten Apartheidgesellschaft. 

Jüdische Kinder aus armen Familien hatten es mit dem Jiddisch in Deutschland ähnlich unmöglich, wie türkische Kinder mit dem "Batschaken - Deutsch". Und sowenig der Kaiser ein Interesse hatte, die ihm verhassten Juden zu integrieren, sowenig gibt es irgendeine aufrichtige Bemühung um die Sprachkompetenzen von Migranten in Deutschland heute: Der sekundäre Rassismus ist jene Form von Apartheid, die einen Umstand, der nur mittelbar wirkt zu unterhalten um eine Grenze innerhalb der Gesellschaft zu bewirken. 

Die Konkorporation von Migranten mit hoher Sprachbildung, also der Zwang in die deutsche Nomenklatur mit dem Verzicht auf Identität ist die zweite Form von sekundärem Rassismus: 

Ein Auslos des Dazugehörens um den Preis des Verrates an sich selbst: "Erschieße Deine Wurzeln und werde wie wir, mit alten Wurzeln gibt es keine teutsche Ehre auf Neue". 

Es wurde offenbar von einem deutschen Saufbold als Hochverrat empfunden, kurdischen Kindern das Rüstzeug zu geben mehr zu sein als die Rolle "Migrant". 


Integration ist kein adiabatisches Sein, es ist eine schattierte Implikation der Identität des jeweils anderen: Es gibt keine deutsche Deutungshoheit im Bereich des Unmenschlichen, es gibt nicht nur keine Legitimation hierzu, es ist eine Lüge zu behaupten, daß auch nur irgendetwas der Räson tauglich wäre eine Hoheit zu entfalten über auch nur irgendetwas vom Menschlichen eine Erklärung zu formulieren, über die Qualität von Identität. 















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