Mittwoch, 11. November 2020

Grenzgänge und Grenzzustände

 Jede Gerechtigkeit fordert ihre Gewalt der Durchsetzung, jede subjektive und jede objektive nach der Gewichtung des billigen Maßes. 

Damit verläßt man niemals das Prinzip der Gewalt zur Schaffung eines Zustandes. Das gilt für alle Seiten. 

Außer in der Gestalt der Schweiz kenne ich kein Land, indem man Konflikte derart durch Reden und Ausgleich bemüht ist im Keim zu ersticken. Diese Mentalität hat auch den Nachteil, daß man Dinge notorisch nicht benennt und solange auf jeden dahergelaufenen Honk solange etwas gibt, bis die Swissair am Boden ist oder eine Versicherung pleite oder sonst ein Schaden von Rang entsteht, weil man jedem noch alles und immer zu Gute hält.

Die Schweiz hat aber auch das nie umgebracht, auch wenn es ihr schadete. 

D.h. es gibt einen geliebt - gehassten Zustand indem man etwas logisch gerade noch so chaotisch arrangiert, daß eine Ordnung daraus wird, auch wenn man sie - wie die schweizer Verkehrsführung nur mit einer gewissen Absenz der Gedanken versteht oder intuitiv wahrnimmt, wie die Abzweigungen am Flugplatz Kloten. 

Jedes Recht fordert den Affen in uns mehr durch zu setzen als einen übergeordneten Zustand, der mir gerade noch so gerecht werden kann, wie dem Gegenüber. 

Der Deutsche pokert immer auf die Einsamkeit, er erledigt den Nachbarn vor Gericht und endet einsam in der Straße in der er sich , nach einem Schlachten über die Einsamkeit beschwert, früher wäre alles lebendiger gewesen. Der Schweizer kann seinen Nachbarn nicht leiden und duldet ihn um des Friedens willen solange, bis er zur Beratungsstelle für Suchterkrankungen geht, der Schweizer wird in der Seele bei bester Gesellschaft einsam, wie das vergessene Bierglas in der Brasserie, was eine Nacht für sich auf dem Tisch geblieben ist, wie der Hansruedi, der nicht mehr gesagt hat als es einem anderen und nicht ihm nütze sein konnte. Wo Was die Deutschen übertrieben in der Fremdzerstörung üben, das verstehen die Schweizer in der Selbstverleugnung bis sie sich selber für diese Diplomatie nicht mehr ertragen und liebevoll depressiv werden und beim blauen Kreuz enden, oder sich mit der Langwaffe den Schein in eine Welt verschaffen, in der das einzige Nein jenes ist, was den Abzug betätigt. 

Wenn man mich fragte, welche Welt mir näher ist. Nun, ich habe in der Schweiz eine Eigenschaft erworben, ich bin als Person nicht auffällig und erledige das Nein mit der Feder und die Sache gerne im Konsens. Wenn ich scheitere, werde ich depressiv, weil ich an mir zweifle ,und dann kommt die deutsche Prägung, die sich auf die Schulter setzt und meint, sich doch einmal mit Fug und vor allem dem Recht das Nein zu verteidigen. 

Einem Schweizer kann ich vergebens erklären, daß er jetzt mal Nein sagen sollte und einem Deutschen kann ich nicht erklären, daß er nicht in jeder Situation in einem Krieg ist und obsiegen muß um ein Prinzip verwirklicht oder verteidigt zu haben.  Beiden kann ich nicht erklären, daß es jeweils für den eigenen Lebensentwurf auch eine goldene Mitte gibt aus Streit und Eintracht, aus einem Nein.... aber um der Möglichkeit willen daraus einen für beide Seiten günstigen Zustand zu erschaffen. 

Wo ich es erträglicher finde muß ich nicht sagen. Ich finde es nicht erträglich einen Deutschen vor mir zu haben, der ein Prinzip so hoch hängt, daß er einem tollwütigen Köter gleicht, der nicht mehr zu retten ist. Vor einem Depressiven etwas zu erbauen ist leichter als vor einem Aggressiven eine konstruktive Lösung entfalten zu wollen, die in jedem Moment eine Defensiv - Strategie erfordert um überhaupt auch nur den geringsten Inhalt vermittelt zu bekommen. Diese Verzweiflung vor Preußens Aggression ist etwas, was ich ganz und gar nicht liebe, es kommt nämlich außer einem Krieg im Kleinen nicht wirklich etwas Nützliches dabei heraus. 

Ich sitze mit einem Schweizer an einem Tisch, es kommt ein Franzose dazu, ein Italiener und der regt sich erst einmal darüber auf, daß seine Friseuse ihm die Haare zu kurz gefasst hat, kommt der Deutsche rein, herrscht Eiszeit und atomarer Winter. Mein Puls geht in die Höhe, ich bewaffne mich innerlich und warte auf die ersten Schüsse aus Kälte - Fachlichkeit und diesem Anspruch von Bessserheit. Die Deutschen sind ein Volk, daß man nicht lieben kann, fürchten sicher, respektieren vielleicht, aber lieben und sich freuen, wenn diese Kultur an den Tisch kommt, das kann man sich nicht, auch wenn selbst meine Akribie etwas zu beschreiben sicherlich zutiefst deutsch ist. Aber wenn man einen Erreger in sich hat, dann ist man entweder vollendet krank oder man hat eine gewisse Immunreaktion gegen das in Teilen in sich selbst bekannte Übel der latenten Sucht etwas besser als gut zu machen. 

Diesem deutschen Anteil der Kultur verdankt die Schweiz ihre Aufstellung, der Kälte der Funktion ohne Größenanspruch aber auch ihre inneres - sehr verstecktes Leiden. 

Doch dieses Leiden ist wahr und diese Wahrheit der statistisch nach Schweden größten Nation von Alkoholproblemen ist authentisch und sichtbar. Deutsche verdecken ihr Leiden an der Funktion in der Funktion. 

Ich will hier übrigens nicht einen Vergleich anstellen, sondern schildern, welche Grenzgänge man unternimmt, wenn man in zwei Nationen gleichermaßen geprägt wird, daß einem beide immer irgenwie mal nah und mal fern sein können, die eine näher und die andere ferner, daß aber alles andere als die Sicht auf die Dinge hinter den Gardienen eine Illusion ist, die auch mal als falsches Selbstbild ein Image formen kann, daß einen sehr angenehmen Zustand bestellt, wie man einen Kaffee genießen kann in Zürich und am anderen Tisch sitzt ein Bankier, dem die innere Einsamkeit aus den Augen fällt, wenn er die Tasse absetzt und dabei einen Moment sein Schauspiel der Funktion verläßt, für den Moment vom Geschmack bis zur Erleichterung die Tasse endlich absetzten zu können, um die gehobene Pflicht los zu sein, die dem Geschmack vorangestellt ist. 

Das Leiden der Frau Affolter, die ihren Mann an den Krebs verloren hat, die keinen Ton sagt und im Frauenverein ihre Aufgabe gefunden hat, aber keinen Schlüssel für die Kammer ihrer Trauer. Sie nimmt jeden Abend Tabletten und ist keinem auffällig. Oder Frau Tschudin, deren Tochter sich das Leben genommen hatte, unschwer zu erkennen, weil Frau Tschudin Zeit ihres Lebens beherrscht war, bis zu dem Augenblick an dem sie ihre Tochter in einer Blutlache im Bad vorfand.

Seither ist Frau Tschudin auf IV und arbeitet stundenweise in der Brocki einer karitativen Einrichtung. 

Das ist die Kehrseite des reichsten Landes dieser Erde, auf die Wertstellung pro Kopf und auf die Fläche gerechnet. 

Die Schweiz und ihre Gesellschaft jenseits der Zahlen. 

Und dennoch würde ich diese Bedingung der dezentralen Unglücklichkeit mit Stimmrecht jederzeit der deutschen aufgepeitschten Aggression der plärrigen Serviertochter aus dem großen Kanton vorziehen, weil ich wahrer zu meinem Ich gelange in dem Land mit der höchsten Bunker - und Psychiaterdichte auf Erden. Nirgendwo herrscht soviel Schutz und gleichzeitig soviel Drang nach Offenbarung wie in der alpinen Konföderation. Das ist schon einmal gesund, wenn man - frei nach Erich Fromm soviel Drang hat, das Kranke als Erscheinung zu eröffnen um keine Alterierung entstehen zu lassen, die aus den Deutschen grauenhafte Ideologen macht. 

Wer offen für Stimmungen ist, der soll einmal in den badischen Bahnhof in Basel gehen und nach demjenigen der SBB fahren, man durchfährt die Wirklichkeit und der Bruch des sozialen Raum - Zeit - Kontinuums erfolgt exakt auf der Schwarzwaldbrücke beim überfahren der Isolatoren, die das schweizer Eisenbahnnetz von jenem der DB trennen. Man verläßt die Größenwahnsinnigen und fährt in die Ordnung der chaotischen Bedächtigkeit im Rahmen der Präzision eines welschen Uhrwerks. 

Ich mag in vielem befangen sein, aber ich bin nicht vereinnahmt durch ein Prinzip, man lebt immer irgendwie als Isolator, der mal das eine Netz berüht und einmal das andere, man muß an beiden Enden der Seele mit den Phasen und ihrem Wechsel klarkommen, so ist es, wenn man eine dichotome Sozialisation in sich trägt, man sieht das eine und das andere und irgendwo in der kapazitiven Mitte muß man die Kräfte für sich ausregeln und Adaptionen für beide Seiten finden, mal mehr, mal weniger erfolgreich. 

So, jetzt schließe ich aber diese Analyse für ein Gipfeli und einen Kaffi. Es gibt  den Glauben, den Staat und die Institutionen der Schweiz: Znüni, es Gipfeli und der notorisch zu starke und zu bittere Kaffee, der auch nur in der Schweiz so richtig schmecken will. 

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