Montag, 13. Juli 2020

Die Fischtheke als Demarkationslinie

Ich gehe heute in einen Supermarkt und will Fisch kaufen.

Maske, vergesst es, heute war es ein Turban, also eine disziplinierte 150% Ausführung von Maske:

Ich sehe mir den Fisch an der Theke genauer an und begehe einen fatalen Fehler: Ich übertrete die rote Linie zum Abstand von 1,5 m zur Theke.

Meine Arme sind länger als die von anderen Menschen, ich bin ja auch nicht der kleinste, aber 1,5 m überbrücke ich auch nicht und also muß man doch, um den Fisch in den Einkaufswagen legen zu können, an die Theke treten, ebenso, wenn man sich das passende Stück heraussuchen will, das läßt sich schlecht ferndirigieren.

Es geht also um einen ganz ganz schnöden, alltäglichen und belanglosen Vorgang und eine ganz gewöhnliche Handlung, die überhaupt keinen Anlaß hergibt, wenn nicht der Deutsche einen draus macht.

Das Gebrüll der zwei deutschen Blondies hinter der Theke, als ich die rote Linie übertrat hätte auch gut in einen Historienstreifen gepasst, der im KZ Plaszow oder in Bergen - Belsen spielen könnte.

Das waren so zwei Teile, die hätten auch Irma Grese oder Hertha Bothe heißen können.

Wie kann man nur in einer so banalen Situation, wie einem Verkauf von Fisch, soviel seelische Hässlichkeit offenbaren ?
Wir wurden angeschrien, meine Frau bekam die Aufführung mit. Wir wurden herumkommandiert, als hätte es 1945 nie gegeben, als wäre alles beim Alten, die Texte, das gespielte Drama als selbst-legitimierender Vorlauf, für den einzigen Zweck, einen Anlaß zu ergreifen um nicht mehr als den gesamten Lebensfrust einem Moment von Macht auszuwürgen, gallebitter.

Ich bin erschüttert und das ist nicht geistreich oder eine Pointe.

Diese Gesichtsausdrücke der Verzerrtheit in der sich der Haß auf das eigene Leben widerspiegelt, das ist etwas, das habe ich immer für Geschichte gehalten, für etwas, das man mit dem Buch ins Regal stellt.

Die Legitimation lautete:

"Es ist eine Vorschrift...".

Das ist ein deutscher Passepartout mit dem sich in einem scheinbar legitimen - von oben her verordneten Rahmen Macht ausüben läßt und Unrecht begehen, daß man hinter einem Befehlsstand verstecken kann.
Das ist so deckungsgleich mit der These Goldhagens, daß mir der Appetit auf den Fisch verging und wir abzogen.

Vorschriften kann man dehnen, vergessen, lieb auslegen oder einfach ignorieren. Warum haben die Deutschen ein Mahnmal, weil sie nie etwas menschlich auslegen, dehnen oder vergessen, sondern weil sie ein Gesamterlebnis von "Staat sein" in sich tragen in dem sich alles verbrechen läßt, ohne daß es unmoralisch wäre, oder selbst als aus der Innenlogik heraus als verwerflich qualifiziert.

Man muß nur einen modularen Begründungszusammenhang austauschen um in die Schwärze zu schauen.

"Verkauf nicht an Juden"... "Es ist eine Vorschrift". Der Rest der Ausführung könnte ohne Abstriche übertragen werden - um nicht mehr als mit der gleichen Anordnung der Items Grauen in unvorstellbarem Ausmaß möglich zu machen.

Denn der Anlaß muß nicht mehr als ein Narrativ sein. Er kann mehr sein, muß es aber nicht.

Und das wirklich erschreckende: Je kleiner der Anlaß wird, je weiter die Tatsächlichkeit "Corona" in den Bereich der begrifflichen Beschwörung abgleitet, desto verbissener wird die Verfolgung des "Endsiegs über die Seuche". Und wenn der Anlaß verschwunden ist, wie man diese Tatsache als Heldentat auslegen um sich zum Übermenschen erklären zu können.
Das bedeutet eine Entfesselung von Legitimation zu allen möglichen Handlungen - und wenn sie nur noch Willkür sein können.
Jetzt haben Canetti und Arendt alles dazu geschrieben, was es zu schreiben gab - und es passiert im Format einer Modelleisenbahn alles, als hätte niemals jemand über die Möglichkeit der Macht eine Offenbarung geschrieben.

Das Problem ist auch in solchen Mikronachweisen, daß es sich weder um ein Verbrechen, noch um etwas handelt, was juristisch einer Kategorie folgte. Denn es gibt eine Legitimation !, - eine Innenlogik, die keinerlei Verbrechen einer denkbaren Kategorie zuführt.

Das Ungetüm passiert in dem Rahmen, daß alle taten, "was befohlen und moralisch bejaht wurde - und was Recht der Zeit war".

D.h. der Rechtsbegriff ist nicht einmal tangiert und es passiert das Unfassbare, das Große, das Erweiterbare, die Blaupause der Blaupause über der Kontinuität von kollektiver Identität und der Vermittlung durch eine programmatisch gewertete Erziehung.

Man kann es kurz sagen: Das dritte Reich ging nie unter, es hat in den Werten innerhalb der Familien überlebt und es offenbart sich in jeder Frage einer Legitimation von Macht - in welchem Maß und welcher Größe auch immer. Es ist weder etwas genau quantisiert noch qualifiziert, es ist eine Summenbetrachtung, ein Integral, etwas Approximatives, und insofern etwas unheimlich präzise - Ungenaues von klarer Aussage, ohne einen Begriff zu haben oder zu machen.

An diesen Gedanken kann ich mich nicht gewöhnen, das ist so abstrus, daß es die von Menschen begreifbare Kategorie verläßt um nur noch unheimlicher zu werden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Der Weise ist weise, wenn er es nicht ist.

 Der Weise schwebt und hofft auf etwas Besseres.  Der Pessimist hat immer recht, denn schlecht ist immer irgendwie.  Weisheit hat einen geda...